Wie läuft eine Unterrichtsstunde im klassischen Gesang ab? Was genau wird dort gemacht?
Das hängt natürlich individuell von jedem Gesanglehrer persönlich ab. Wie gestaltet sie/ er die Stunde… Wo liegt beim einzelnen Lehrer der Schwerpunkt? Meiner Ansicht nach sollten zumindest Einsingübungen = Technikübungen enthalten sein, sowie Literatur gesungen werden. Also Lieder und Arien. Auch für Anfänger gibt es geeignete Stücke, die beispielsweise keinen großen Stimmumfang benötigen 🙂 Tatsächlich habe ich von einigen meiner Gesangschüler/innen gehört, daß sie beim vormaligen Lehrer nur Technik gearbeitet haben… Aber- was nützen die schönsten Technikübungen, wenn sie nicht in der Literatur angewendet werden. So ist es doch ein großer Unterschied, ob ich auf einer Silbe singe (lala, papa, suuu…), oder mit der Sprache arbeite. Oder Melodien singe 🙂 und gestalte, interpretiere!
Meine klassische Gesangstunde sieht folgendermaßen aus:
Zunächst gibt es Atemübungen. Anfängern wird erklärt, wie die Zwerchfellatmung funktioniert. Hierzu dürfen auch jederzeit Fragen gestellt werden.
Dann kommen kleine Stimmübungen, quasi ohne Ton/ Melodie um die Stimmbänder schon einmal „aufzuwärmen“.
Jetzt folgen verschiedene Einsingübungen, welche gleichzeitig Technikübungen sind. Hier wird auf gute Ausführung und Intonation geachtet, ich gebe also Korrektur.
Sehr wichtig sind für mich persönlich die Etüden von Nicola Vaccai. Diese haben nichts etüdenhaft langweiliges, sondern sind wunderschön. Siehe dazu auch meinen Blog über Vaccai am Ende des Blogs…
Und nun kommt Literatur. Also Lieder und Arien. Je nach den jeweiligen stimmlichen Möglichkeiten des Schülers, ob Anfänger oder Fortgeschrittener, ob hohe oder tiefere Stimme, werden diese ausgesucht. Oftmals haben Schüler auch selbst Wünsche oder Vorschläge. In meinem Gesangsunterricht werden keine Stücke „aufgezwungen“, es werden nur Lieder oder Arien gearbeitet, die dem Gesangschüler gefallen 🙂 Anhand/ mit der Literatur wird auch technisch gearbeitet. Und vor allem auch immer an der Interpretation, egal ob Anfänger oder Fortgeschrittener! Ist doch die Interpretation für uns als Singende wunderschön, aber auch für den Zuhörer. Es ist die Essenz- des Gesanges und der Musik!!!
Mir persönlich ist es bei diesem ganzen Stundenaufbau und Konzept sehr wichtig auf jeden Schüler/ in individuell einzugehen. Manche mögen mehr Einsingübungen, manche weniger, manche mögen sich tiefer in die Stücke begeben, manche weniger… Manchmal ist die Stimme müde oder nicht ganz fit, dann singen wir uns „sanfter“ ein…Das wichtigste ist es aber, daß wir mit Spaß und Freude singen! Denn glücklicherweise kommen wir so am besten voran!!!
Die Kompositionen von Nicola Vaccai- Metodo pratico di canto sind eines meiner liebsten und wichtigsten „Tools“ mit denen ich im Unterricht arbeite. Und das gleich aus mehreren Gründen. Einer der wichtigsten Gründe ist, daß sie Spaß bringen, aber wir zugleich unglaublich viel lernen mit wunderschönen kleinen Arien, die nichts langweiliges oder stupides haben. Das liegt unter anderem auch daran, daß hier keine Vocalisen ohne „Inhalt“ gesungen werden, sondern Texte in italienischer Sprache. Vaccai hat hier Gedichte von Metastasio vertont. Die italienische Sprache ist nach Meinung von Vaccai, der in vielen verschiedenen Ländern Europas gelebt hat, die beste und schönste Sprache für das Singen. Diese Ansicht kann ich auch aus meiner Erfahrung bestätigen. Die Vokale sind brilliant und die meisten Konsonanten liegen vorne. Deswegen glaube ich auch, daß dies einer der Gründe dafür ist, daß die ersten Opern in Italien entstanden sind. Was wir mit dem Singen in der italienischen Sprache erarbeitet haben, können wir dann auch auf andere Sprachen „übertragen“. Zudem sind die Stücke für Anfänger geeignet, aber auch für Fortgeschrittene. So habe auch ich im Laufe meiner aktiven Zeit immer wieder Vaccai gesungen. Gerade weil ich das „große“ Fach gesungen habe- Verdi, Wagner, Mascagni…, habe ich mit den Stücken von Vaccai meine Stimme geschmeidig gehalten. Die Lektionen bauen aufeinander auf und enden am Ende des Heftes mit einer Art Zusammenfassung. Vaccai hat die Kompositionen in einem kleineren Tonumfang in der Mittellage gehalten. Davon ausgehend, es gibt die Hefte in drei Tonlagen (tief, mittel, hoch), kann man später auch einmal eine andere Tonart ausprobieren und erarbeiten. Auch in meinem Unterricht singen wir zunächst Stücke in mittlerer Tonlage und schauen, wo die Stimme sich am wohlsten fühlt. Eine gut geführte Mittellage ist die Basis jeder Stimme. Natürlich habe ich einige Favoriten unter den Stücken. Diese sind: Lektion 2 die Quartensprünge und die Quintensprünge. Sie sind beide in jeder sängerischen „Lebenslage“ fantastisch! Wenn die Stimme müde oder leicht angeschlagen ist, können wir das fast immer mit diesen zwei Stücken beheben 🙂 Manchmal kommen auch neue Schüler zu mir, deren Stimmen technische Mängel haben. Um die Stimmen wieder in Ordnung zu bekommen, sind die kleinen Arien aus dem Methode pratico wunderbar…
Nicola Vaccai war ein italienischer Komponist und Gesangslehrer der von 1790- 1848 gelebt hat.
https://de.wikipedia.org/wiki/Nicola_Vaccai